A. Karsten (Hg.): Jagd nach dem roten Hut

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Titel
Jagd nach dem roten Hut. Kardinalskarrieren im barocken Rom


Herausgeber
Karsten, Arne
Erschienen
Göttingen 2004: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Carol Nater, Prof. Volker Reinhardt; Frühe Neuzeit;, Universität Fribourg, CH

«Auch überschwenglichen Gelagen und Feierlichkeiten war er ganz und gar nicht abgeneigt. So erwarb er sich den Ruf eines stadtbekannten Schürzenjägers, eines Playboys und Raufboldes mit ungewöhnlich liederlichem Lebenswandel.» Die Rede ist von Kardinal Innocenzo del Monte (1532–1577) – also einem hohen WürdentraÅNger der katholischen Kirche. Sein skandalträchtiges Leben hat Daniel Büchel genauer unter die Lupe genommen und in seinem Beitrag «Vom Affenwärter zum Affentheater» für den von Arne Karsten herausgegebenen Sammelband «Jagd nach dem roten Hut» attraktiv verarbeitet. Ein Affe war’s, der dem armen Jungen Sansovino zu seinem kometenhaften Aufstieg verhalf: Er rettete Kardinal Giovan Maria Ciocchi del Monte, damals Legat in Parma, vor dem Tiere. Aus Dankbarkeit für diese «Heldentat» nahm der Kardinal den Jungen in seinen Dienst und liess ihn schliesslich von seiner Familie als «Innocenzo del Monte» adoptieren. Als Giovan Maria Ciocchi am 8. Februar 1550 als Papst Julius III. das Konklave verliess, fand sich der einstige Affenwärter plötzlich im «Heiligen Senat » der Kirche wieder – er wurde zum Kardinal ernannt, ja sogar bald zum Kardi - nalnepot. Doch so steil Innocenzos Karriere verlief, so rasant gestaltete sich die Talfahrt nach dem Tod seines Förderers Julius III. Das jedoch durch eigenes Verschulden: In weltlichen Kleidern und bewaffnet soll er in Schlägereien mit tödlichem Ausgang verwickelt gewesen sein und sich oft und gerne bei Kurtisanen, «den Luxus-Callgirls der Zeit», herumgetrieben haben.

Insgesamt skizzieren im Sammelband elf Autorinnen und Autoren in 15 verschiedenen Beiträgen Karrieren von Kardinälen im barocken Rom. Die Aufsätze konzentrieren sich auf die Zeit zwischen 1550 und 1650, dies allerdings mit drei Ausnahmen: Philipp Zitzlsperger deckt mit seinem Beitrag das 15., Volker Reinhardt mit seinen zwei Aufsätzen das 18. Jahrhundert ab.

Jeder einzelne Essay ist in sich abgeschlossen, leistet aber gleichzeitig einen wichtigen Teil zum Ganzen: Die Geschichten fügen sich mosaiksteinartig zusammen und entwerfen so ein anschauliches Bild der Bedeutung des Kirchenstaates in der Frühen Neuzeit im Kontext der europäischen Politik. Aus verschiedenen Perspektiven führen die Autoren dem Leser die ungeschriebenen Gesetze und Regeln am und um den Papsthof vor Augen und decken die feinen Mechanismen der Macht auf, welchen die Kardinäle auf ihren Karrierewegen begegneten. Durchwegs entscheidend für den Aufstieg an der Kurie – das erkennt der Leser bald – war das persönliche Klientelnetz, insbesondere seine Familie. So sind Karrieren in der Frühen Neuzeit nicht hauptsächlich individuelle, private Angelegenheiten, sondern familiäre Unternehmen, in welche horrende Geldsummen investiert wurden. Wenn es ein Familienvertreter tatsächlich zum Kardinalat schaffte, so profitierte auch seine Verwandtschaft davon. Dieser Nepotismus ist aus dem barocken Rom nicht wegzudenken und zieht sich entsprechend wie ein roter Faden durch die Aufsätze hindurch. Deutlich zeigt sich die Verwandtenförderung auch und gerade innerhalb der herrschenden Papstfamilien. Tobias Mörschel etwa berichtet, wie einflussreich der Kardinalnepot Pietro Aldobrandini war, während sein Onkel Clemens VIII. die Tiara trug, und zeigt gleichzeitig auf, wie vergänglich diese Macht war. Denn mit dem Tod des Papstes büssten der Nepot und dessen ganze Familie schlagartig an Ruhm, Geld und Einfluss ein.

Beziehungsnetze waren aber nicht nur förderlich: Neid, Eifersucht und persönliche Ressentiments führten zu gezielten Intrigen einzelner oder mehrerer Kurienmitglieder. So schildert Arne Karsten, wie Kardinal Sforza im Konklave des Jahres 1590 bewusst intrigierte, so dass der bereits als sicherer neuer Tiaraträger gehandelte Kardinal Marcantonio Colonna, aus ältestem römischen Adel stammend, von einem gesellschaftlich weit unter ihm stehenden Konkurrenten besiegt wurde.

Wie schon das eingangs zitierte Beispiel des Affenwärters zeigt, war es mitunter nicht abwegig, sich quasi aus dem sozialen Nichts auf die Jagd nach dem roten Hut zu machen. Selten dürfte der Erfolg dabei wohl wegen eines Affen zustande gekommen sein, doch zeigt sich auch hier, dass die persönliche Beziehung für den sozialen Aufstieg entscheidend gewesen war. Auch Angelo Giori (1586–1662) etwa war ein Mann von niederer Herkunft, der es bis zum Kardinalat brachte, wie Carolin Behrmann in ihrem Beitrag schildert. Sie vergleicht Giori mit einem blinden Passagier, der in einem Schiff mitreist, das von padroni oder Freunden und Verwandten gesteuert wird und entwirft damit ein treffendes Bild der Gruppe der «uomini novi», der sozialen Aufsteiger unter den Kardinälen. Mobbing, Vitamin B und viel Geld – Charakteristiken, die durchaus auf die heutige Arbeitswelt zutreffen prägten also schon die frühneuzeitlichen Kardinalskarrieren.

Die Struktur und die Auswahl der Kardinalskarrieren folgen bewusst keinem einheitlichen Konzept, stattdessen sind die einzelnen Viten gemäss ihrem «Spannungspotenzial » gestaltet, so dass für den Leser aus jedem Beitrag ein möglichst hoher Erkenntnisgewinn resultiert – so Arne Karsten im Vorwort des Bandes. Dem in den einleitenden Worten zugleich formulierten Ziel, «die Beschäftigung mit der Vergangenheit so leicht, so angenehm und so unterhaltsam wie möglich» zu gestalten, werden die Autorinnen und Autoren gerecht, indem sie sich (fast) ausnahmslos einer flüssigen und attraktiven Sprache bedienen, die dem Leser zudem qualitativ hochstehende historische Kenntnisse vermittelt. Die Beiträge sind also keineswegs fantasievoll ausgemalte Geschichten im Stile historischer Romane, sondern basieren auf fundiertem Quellenstudium, enthalten unverfälschte Originalzitate aus teilweise bisher unpublizierten Dokumenten und werden vor dem Hintergrund des neuesten Forschungsstandes entwickelt. Was man vermissen mag, ist der konkrete Bezug zum Katholizismus. In keinem der Beiträge ist von der religiösen Gesinnung der porträtierten Kardinäle zu lesen, keine ihrer Handlungen scheint religiös motiviert gewesen zu sein. Auch wenn Arne Karsten Recht damit hat, dass die doktrinären Prinzipien der Kirche als selbstverständlich vorausgesetzt wurden und die Purpurträger ihr Leben entsprechend gestalteten, ohne dies explizit zu vermerken, mag die fast vollständige Ausblendung religiöser Kontexte dem einen oder anderen Leser problematisch erscheinen. Bei solcher Kritik sollte man sich jedoch fragen, ob die Suche nach einer persönlichen, individuell gefärbten Beziehung der frühneuzeitlichen Geistlichen zu Gott nicht einer Rückprojektion moderner Werte gleichkommt, die es in der römischen Gesellschaft dieser Zeit so nicht gab.

Der Sammelband bietet fundiertes historisches Wissen rund um den Papsthof und ist zugleich äusserst unterhaltsam. Überdies regt er dazu an, über Gemeinsamkeiten und Differenzen frühneuzeitlicher und moderner Karrieren nachzudenken und zu diskutieren. Ein Buch mithin, das sich ebenso als wissenschaftliche Lektüre für Forscher eignet, die sich intensiver mit barocker Romforschung beschäftigen wollen, wie auch für interessierte Leser ohne detaillierte Fachkenntnisse, die fasziniert sind von der Vergangenheit und sich diese in einer leserfreundlich aufbereiteten Form zu Gemüte führen möchten.

Zitierweise:
Carol Nater: Rezension zu: Arne Karsten (Hg.): Jagd nach dem roten Hut. Kardinalskarrieren im barocken Rom. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 368-370.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 368-370.

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